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Juchuh, ich bin eine Oma!

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„Mama, wir bekommen ein Baby.“ Meine Tochter fackelt nie lange herum, sagt immer kurz und bündig, was ihr am Herzen liegt. Manch einer behauptet ja, das hat sie von mir. Eine sehr positive Eigenschaft, wie ich meine. Doch ich schweife ab.

 

Mein Kind eröffnete mir also vor etlichen Jahren, ich würde Großmutter werden. Ich war natürlich total aus dem Häuschen vor Freude. Ein kleines Wesen würde bald Oma zu mir sagen. Und Mama zu meinem Mädchen. Mir war, als hätte ich meine Kinder erst gestern geboren und nun erwartete mein Baby ihr erstes Kind. Aber war meine Kleine denn nicht noch viel zu jung fürs Kinderkriegen? Und ich? Ich war doch auch noch gar nicht so alt. Wie konnte ich denn in meinem Alter schon Oma werden? Das hatte ich also von meiner überschwänglichen Familienplanung in jungen Jahren! Schwupps, einmal durchgeatmet und schon machte einem der eigene Nachwuchs zur alten Frau. Na toll. Zwischen der Freude auf das Baby und dem Gefühl jetzt dazuzugehören zur Riege der älteren Menschen, taumelte ich die nächsten Wochen wahrlich aufgeregt durchs Leben.

 

Trotz ausdrücklichem Verbot meiner Tochter besorgte ich umgehend eine Babygrundausstattung in neutralen Farben, also in Türkis, Gelb und Weiß. Nichts Besonderes. Nur ein paar Strampler, Babydecken, Hemdchen und Pullover. Das wenige Spielzeug war gar nicht der Rede wert. Wie sich herausstellte, dachte sich das übrigens auch die Mutter meines Schwiegersohnes.

 

„Mama, es wird ein Mädchen. Aber bitte nichts in Rosa kaufen. Wir halten absolut nichts davon, unser Kind wegen eines Klischees einer Farbe zu unterwerfen. Sie kann jede Farbe dieser Welt tragen. Und bitte auch keine ausschweifenden Oma-Einkäufe mehr“, wurde mir einige Wochen später eingebläut.

 

Aus purer Langeweile und reiner Neugierde durchstöberte ich sämtliche Läden, war ich doch mit Sicherheit nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand was Baby-Mädchen-Kleidung und Baby-Mädchen-Spielzeug betraf. Dieses Manko galt es rigoros auszumerzen. Ich war hin und weg! Diese entzückenden in Rosa und Lila gehaltenen winzigen Strampelhöschen, Jeans und Shirts, Kleidchen und Schühlein! Und erst die süßen Haarspangen! Aufgeregt durchwanderte ich die Spielzeugabteilungen. Rosa Rasseln, Beißringe und Stofftiere. Zartlila Schmusetücher mit lustigen Tieren darauf appliziert. Das Wort Kaufrausch wurde an diesem Tag durch mich neu definiert. Kaum drehte ich mich um, lag auch schon das nächste süße Teil vor meiner Nase. Hippelig durchkämmte ich ein Regal nach dem anderen.  

 

Plötzlich wurde mir schwindlig. Ich konnte nicht mehr atmen, Panik erfasste mich! Ich spürte es mehr, als ich es wahrhaben wollte: Ich war im Begriff, die Kontrolle über mich und mein Leben, vor allem über meine Geldbörse zu verlieren. Mit allerletzter Kraft rief ich meine Tochter an, krächzte verzweifelt ins Telefon: „Hilfe, ich bin eine Oma, hol mich hier raus!“

„Mama? Was ist passiert? Wo bist du denn?“

„Im Einkaufszentrum. Und alles ist Rosa. Einfach alles! Ich kann nicht mehr.“

„Mama, du setzt dich jetzt sofort ins Auto und kommst her!“, befahl mir mein Kind energisch.  

„Aber …“ Ich konnte nur mehr keuchen.

„Kein Aber. Los jetzt!“ Die Stimme am anderen Ende erlaubte keine Widerrede.

Ob der Strenge meines Kindes resignierte ich, schleppte mich mit meinen zwanzig Einkaufstaschen zum Lift. Mit hängendem Kopf fuhr ich in die Tiefgarage. Mein kleines Auto ächzte unter der Last der babylilarosa Fracht. In meinem rosa Hirn kreisten während der Autofahrt lauter lilafarbene Gedanken. Zitternd stand ich schließlich vor meinem Kind.

„Mama! Was hast du getan?“ Fassungslos starrte meine Tochter auf meine Taschen.

„Es war einfach stärker als ich.“ Reumütig streckte ich ihr meine Beute entgegen.

„Du bist wie ein kleines Kind. Komm, wir sehen uns gemeinsam an, was du da alles eingekauft hast. Und was wir zurückgeben.“ Wie ein begossener Pudel folgte ich ihr in die Wohnung. Im Wohnzimmer auf der Couch saß mit schuldbewusster Miene die Mutter meines Schwiegersohnes.

„Du auch?“, wisperte ich. Ich war also nicht die einzige Oma, die unter Kontrollverlust litt.

„Ja.“ Sie zeigte auf die vielen putzigen Kleidchen und Jäckchen in Rosa und Lila, die vor ihr lagen. „Ich habe gerade alles ausgepackt. Komm, wir schauen gemeinsam, was wir alles erbeutet haben“, kicherte sie mit irrem Gesichtsausdruck.

„Ach wie süß!“ - „Nein, ist das herzig!“ - „Oooh!“ Unsere Stimmen, auch die meiner Tochter, überschlugen sich regelrecht bei Durchsicht der allerliebsten Babysachen. Wir mussten übrigens nichts zurückbringen, nicht ein Stück.

 

Dann war sie endlich da, meine Enkelin Anna! Unbeschreiblich ist es, dieses Gefühl. Man glaubt, man kennt das ja schon alles von den eigenen Kindern. Glaubt, man ist gewappnet, erfahren, in sich ruhend. Nein, ist man nicht! Es ist alles so furchtbar aufregend, so neu, so unbeschreiblich! Es ist mit einem Wort überwältigend. Wie hält man denn dieses kleine Ding als Oma? Und wer bringt sie öfter zum Lachen, der Papa oder ich? Warum darf ich sie nicht mit nach Hause nehmen? Oder behalten? Und wieso stellen sich Eltern so furchtbar an, wenn man dem kleinen Mäuschen alles erlaubt?

 

Zwei Jahre später eröffnete mir meine Tochter: „Mama, wir bekommen noch ein Baby. Bitte nichts kaufen, wir haben bereits sehr viele Sachen, wie du ja weißt.“

„Natürlich, nichts kaufen. Eh klar“, sagte ich und legte in Gedanken schon eine Einkaufsliste an. Das kann es ja nicht sein, dass das neue Baby jetzt alles von der Großen anziehen muss! Früher konnte man sich ja nichts Neues leisten, aber heutzutage?

Also zog ich wieder los, durchstöberte die Geschäfte. Mit den Jahren konnte sich ja einiges geändert haben. Neue Farben oder Schnitte. Oder neues Spielzeug. Da war es doch meine Pflicht als Großmutter mich zu informieren! Aber dieses Mal war ich gelassener, gesetzter, bedächtiger. Irgendwie schon hineingewachsen in meine Rolle als Oma. Über die paar Kleinigkeiten in Gelb, Weiß und Türkis musste man wirklich nicht großartig reden. Auch die wenigen neuen Spielsachen fielen nicht ins Gewicht. Lauter Lappalien. Es erübrigt sich, zu erwähnen, dass die Mutter meines Schwiegersohnes denselben Gedanken hatte.

 

„Mama, es wird wieder ein Mädchen. Und relax!“ Sie kann so streng und unerbittlich sein, diese junge Frau. Von wem sie das nur hat? Wahrscheinlich von ihrem Vater. 

Ich hielt mich an die Regeln meiner gestrengen Tochter, schleppte brav anstatt der zwanzig Einkaufstaschen nur mehr zehn heim. Ich war so was von stolz auf mich und meine Zurückhaltung! Mein Kind hatte ja recht, es war ja noch so viel von der großen Schwester da. Man muss nicht gleich das Rad neu erfinden, sollte vorhandene Ressourcen nutzen, auch an die Umwelt denken.

 „Siehst du, gar nicht viel.“ Stolz überreichte ich meinem Kind die vollgepackten Einkaufstaschen.

„Mama!“

„Was denn? Die Zweiten sind doch echt arm. Ständig müssen sie alles von den älteren Geschwistern auftragen. Das ist einfach nicht fair!“

„Du und meine Schwiegermutter! Aber jetzt ist endgültig Schluss mit Kaufen.“

„Selbstverständlich.“ Ehrlich gesagt, war ich doch ein wenig beleidig. Was mein Kind da für ein Aufhebens machte wegen ein paar Röckchen und Jäckchen. Einfach lächerlich das Ganze.

„Was ist denn das da?“ Sie zeigte auf die Einkaufstasche hinter meinem Rücken.

„Das? Ach, da sind nur ein paar Sachen drinnen für … für …“ Ich geriet ins Stottern.

„Nicht wahr jetzt! Du hast für Anna auch etwas gekauft?“

„Naja, ich kann doch nicht der einen etwas kaufen und der anderen nicht.“ Also wirklich, wofür hielt meine Tochter mich? Ihre Schwiegermutter sah das übrigens genauso.

 

Lisa wurde geboren und es wurde noch aufregender in meinem Leben. Wie hatte ich das damals eigentlich mit meinen Kindern hingekriegt? Lag es wirklich nur daran, dass ich noch jünger war? Ich getraute mich nicht, diese kleinen Geschöpfe auch nur wenige Sekunden aus den Augen zu lassen. Was, wenn etwas passierte? Mit Argusaugen verfolgte ich jeden der kleinen tapsigen Schritte. Ich hielt jedes Mal den Atem an, wenn Anna alleine rutschen, Lisa aber in der Sandkiste bleiben wollte. Ich war abends fix und fertig, wenn ich sie nach einem Oma-Tag nach Hause brachte. Und hoffte jedes Mal, dass ich bald wieder Gelegenheit bekam, meine Enkelinnen bespaßen zu dürfen.

 

Und dann eröffnete mir mein Sohn: „Mama, wir bekommen ein Hundebaby, nächste Woche holen wir ihn ab!“ Er strahlte mich glücklich an. „Sieh nur, ich hab dir Fotos von ihm mitgebracht.“

„Nein, wirklich? Oooh, ein kleiner Hundebub!“ Begeistert klatschte ich in die Hände. „Der ist ja sooo süß. Dieses kleine Schnauzerl. Und das kleine Bäuchlein. Und diese Glupsch-Augen.“ Ist es zu fassen, mein erster Enkelhund!

Natürlich hatte ich als Katzenmama absolut keine Ahnung, was der Hund von Welt leinenmäßig so trug und welches Spielzeug und Futter angesagt war. Sollte ich vorsichtshalber auch eine Hundeschule besuchen? Was, wenn er einmal über Nacht bei seiner Oma bleiben wollte? Ich muss zugeben, das Hundebettchen war sogar günstiger als ich gedacht hatte. Nachdem ich keine Ahnung hatte, wie oft so ein Hundebub Gassi gehen muss, waren Snooky und ich bei seinen Besuchen bei mir die meiste Zeit unterwegs. Auch, weil ich die Vorstellung, meine Enkelkinder fadisieren sich bei mir, unerträglich finde. Dass er im Kaffeehaus lieber auf meinem Schoß als unten auf der Erde saß, konnte ich nur zu gut verstehen. Warum er aber manchmal absolut nicht laufen, sondern von mir getragen werden wollte, weiß ich bis heute nicht so recht.

 

Ich weiß noch, wie ich zu Ostern die Osternester für meine drei kleinen Racker im Garten versteckte. Es war einfach entzückend zuzusehen, wie sie aufgeregt in den Garten liefen. Der eine schnüffelnd, die beiden anderen kichernd suchend.

 

Mir ist so, als wäre dies alles erst gestern gewesen. Anna, meine älteste Enkelin, feiert heute ihren fünfzehnten Geburtstag. Und doch wird sie, genauso wie ihre Schwester, immer meine kleine Maus bleiben.

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